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Corona-Pandemie: Wer zu früh lockert, hilft dem Coronavirus

In Europa scheint das Virus weit gehend unter Kontrolle. Nun sind vor allem die USA, Brasilien und Indien betroffen. Auch weil die Regierungen strikte Maßnahmen frühzeitig aufgehoben haben. Oder ganz versäumten.
In den USA verbreitet sich das Coronavirus rasant.

Mehr als zehn Millionen Menschen weltweit haben sich mit dem Coronavirus angesteckt. Die Zahl steigt weiter. Während der Lockdown und weitere Maßnahmen beispielsweise in Italien, Deutschland und Spanien die Ausbreitung von Sars-CoV-2 verlangsamt haben, grassiert der Erreger in anderen Ländern. Zehntausende Kranke und Tote sind die Folge.

Laut einer Datenbank der »New York Times« haben fast doppelt so viele Länder in den vergangenen zwei Wochen einen Anstieg der neuen Fälle gemeldet wie einen Rückgang. Vor allem betroffen: die USA und Brasilien. Auch in Israel hat die Zahl der Neuinfektionen einen Höchstwert erreicht. Zudem gab es auffallend viele neue Fälle in Namibia und Kasachstan. Ein Überblick:

USA, Land of the free virus

15 Fälle waren Mitte Februar in den USA offiziell bekannt – alle hatten eine Verbindung nach China. Tausende Fälle aber gab es schon damals im Verborgenen. Eine Grafik der »New York Times« zeigt eindrücklich, wie das Virus das Land erobert hat. Anfang Juli tragen es laut der Johns Hopkins University mehr das 2,6 Millionen Menschen in sich. Viele geben es weiter.

So haben die USA erstmals seit Beginn der Pandemie mehr als 50 000 Neuinfektionen mit dem Coronavirus verzeichnet. In den vergangenen sieben Tagen waren es durchschnittlich rund 41 000. Nachdem sich die Infektion im Frühjahr zunächst vor allem in New York und Conneticut ausgebreitet hat, trifft es nun die Südstaaten und ländliche Regionen.

Coronavirus in den USA

Diese Karte der CDC zeigt Covid-19-Fälle und Todesfälle, die von US-Bundesstaaten, dem District of Columbia, New York City und anderen den USA angegliederten Gerichtsbarkeiten gemeldet wurden. Fahren Sie mit der Maus über die Karte, um die Zahl der gemeldeten Fälle anzuzeigen.

Um die Situation besser unter Kontrolle zu bekommen, haben Kalifornien und Michigan am Mittwoch Lockerungen zurückgenommen, Pennsylvania hat eine Maskenpflicht eingeführt. Doch in den meisten besonders betroffenen Staaten gibt es weiterhin keine Pflicht. Die amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC beobachtet die Entwicklung mit Sorge.

Derweil setzten sich US-Präsident Donald Trump und seine Regierung weiterhin unzureichend für den Schutz der Bevölkerung ein. Der Republikaner beschwichtigt gar: Die Wirtschaft werde sich bald wieder erholen, und »das Virus wird irgendwann gewissermaßen einfach verschwinden« sagte er am Mittwoch dem Fernsehsender Fox Business. Immerhin zeigte er sich dem Sender gegenüber erstmals aufgeschlossen gegenüber einem Mundschutz: »Ich bin für Masken«, sagte Trump. Natürlich würde er eine Maske tragen, wenn er auf engem Raum mit anderen Menschen zusammen sei. Das ist neu.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Die Epizentren liegen nicht mehr in Europa

Kein europäisches Land hat so viele Coronatote wie Großbritannien. Laut dem aktuellen Report des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) sind 43 730 Menschen an den Folgen des Virus gestorben. Kritikern und Gesundheitsexperten zufolge liegt das auch an den Entscheidungen der britischen Regierung. Programme für flächendeckende Tests und Kontaktverfolgung liefen nur schwerfällig an. Erst Ende März galten Kontaktbeschränkungen. Nach Ansicht des Wissenschaftlers Neil Ferguson vom Imperial College London sterben deshalb zehntausende Menschen. Eine App, die bei der Kontaktverfolgung helfen sollte, wurde Mitte Juni nach einer Testphase verworfen.

Norditalien und Spanien waren zu Beginn der Pandemie Epizentren. Dort gibt es nach aktuellem Stand zwar in jedem Land mehr als 240 000 Infizierte. Doch die Neuinfektionsrate ist gesunken. Man ist weit entfernt von den Höchstwerten. Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut zufolge 503 neue Coronainfektionen innerhalb eines Tages gemeldet. Damit haben sich seit Beginn der Pandemie 195 228 Menschen nachweislich angesteckt. Zuletzt hatte es lokal größere Ausbrüche gegeben, weshalb die Reproduktionszahl zwischenzeitlich auf mehr als 2 angestiegen ist.

Wie viele Menschen haben sich neu angesteckt? | Die »Sieben-Tage-Inzidenz« gibt an, wie viele Neuinfektionen es in den letzten 7 Tagen pro 100.000 Einwohner gab. Stecken sich zu viele Menschen an, sollen die Landkreise Schutzmaßnahmen ergreifen.

Brasilien: Stämme verlieren ihre Ältesten

Mehr als 1,4 Millionen Menschen in Brasilien sind infiziert. Dennoch gilt nur in wenigen Städten ein Lockdown oder eine Ausgangssperre. Präsident Jair Bolsonaro verharmlost die Lage und spricht sich gegen Maßnahmen aus, die die Krankheit eindämmen sollen. Seine ablehnende Haltung wirkt sich selbst in Bundesstaaten wie Sao Paulo aus, in denen es Kriterien für Sperrungen gibt: Viele Menschen halten sich nicht an die Regeln.

Auch in Brasiliens Amazonasgebiet breitet sich Corona rasant aus, wie Medien berichten. Wenige Menschen wohnen hier auf vergleichsweise großen Raum, Siedlungen sind abgelegen, viele Bewohner haben keinen Zugang zu sauberem Wasser oder medizinischer Versorgung. Ende Juni hieß es in einem Beitrag auf »Mongabay«, mindestens 78 indigene Völker im brasilianischen Amazonasgebiet seien mit Covid-19 infiziert, wobei mehr als 3600 Personen positiv getestet wurden und bis dahin 249 Menschen an den Folgen der Krankheit gestorben waren. Darunter einige Stammesälteste, die sich für den Schutz und die Anerkennung ihrer Völker eingesetzt haben. Für die anderen 33 Völker liegen dem Bericht nach keine detaillierten Daten vor.

»Die Regierung macht es uns schwer, Nothilfe zu beantragen«
Auricelia Arapium, Sprecherin der Anwohnervereinigung von Tapajós-Arapiuns

Laut einem Bericht der Deutschen Welle zählt unter anderem das Reservat Tapajós-Arapiuns zu den besonders betroffenen Gebieten. »Die Regierung macht es uns schwer, Nothilfe zu beantragen«, wird Auricelia Arapium, Sprecherin der Anwohnervereinigung im Reservat, zitiert. »Es gibt kein Internet, um Dokumente zu überliefern, und keine spezielle Unterstützung für Indigene.«

Lockdown in Israel angekündigt

Israel und die Palästinensergebiete waren zunächst nicht stark betroffen. Nach Lockerungen sind die Zahlen der Infizierten jedoch seit etwa einem Monat deutlich angestiegen. Binnen 24 Stunden haben die Verantwortlichen in Israel zuletzt 868 neue Fälle registriert. Das ist der höchste Ein-Tages-Wert, den man dort seit dem Ausbruch der Pandemie registriert hat. Der bisherige Höchstwert stammt mit 819 vom 3. April.

Das Gremium, das den Nationalen Sicherheitsrat berät, hatte laut »Haaretz« bereits am Samstagabend einen Brief an den Premierminister und den Gesundheitsminister geschickt. Darin heißt es, das Land habe »die Kontrolle über die Pandemie verloren«. Man solle unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

In der Nacht zum Donnerstag wurden neue Beschränkungen verkündet. Verschiedene Viertel in Lod bei Tel Aviv sowie in der Hafenstadt Aschdod sollten für mindestens eine Woche abgeriegelt werden. Auch in den Palästinensergebieten soll von Freitag an ein fünftägiger Lockdown in Kraft treten.

Lockerte die Abriegelung zu früh: Indien

Indien hatte zwar zwischenzeitlich offiziell alle 1,3 Milliarden seiner Bürger zum Lockdown verurteilt. Doch um die Wirtschaft zu stabilisieren, wurde dieser wieder aufgehoben, noch während mehr und mehr Menschen erkrankten. Wie »Nature« berichtet, sagen einige Forscher, die Regierung habe es versäumt, diese Zeit zu nutzen, um das angeschlagene Gesundheitssystem des Landes vorzubereiten.

Die Folge: Am Mittwoch gab es landesweit eine Rekordzahl neuer Fälle, Indien ist mit mehr als 600 000 Infizierten auf Rang vier der am stärksten betroffenen Länder weltweit. Großstädte wie Delhi und Mumbai sind besonders stark betroffen, da die Krankenhäuser Schwierigkeiten haben, schwer kranke Patienten unterzubringen. Und das Virus breitet sich nun auch im nahe gelegenen Pakistan und in Bangladesch rasch aus.

Afrikanische Länder fürchten die Krise

Vor knapp zwei Monaten hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor zahlreichen möglichen Coronaopfern in afrikanischen Ländern gewarnt. Jeder Vierte der 1,3 Milliarden Einwohner des Kontinents drohe sich zu infizieren, hieß es damals. Doch bislang blieb die Katastrophe aus.

Tatsächlich hat sich das Coronavirus im Vergleich zu den anderen Weltregionen in Afrika bisher relativ langsam verbreitet. Zahlreiche Regierungen haben rasch strenge Maßnahmen verhängt. Die meisten Todesfälle in Afrika gibt es laut der WHO derzeit in Algerien, Ägypten, Nigeria, Südafrika und Sudan. Südafrika gilt bei der Zahl der Fälle als am stärksten betroffen. Auffällig war zuletzt auch der starke Anstieg an Neuinfektionen in Namibia.

Noch ist unklar, wie sich das Virus auf dem Kontinent verbreiten wird. Die WHO hat festgestellt, dass Afrika fast 100 Tage brauchte, um 100 000 Fälle zu erreichen, aber nur 19 Tage, um diese Zahl zu verdoppeln.

Schon jetzt aber zeichnen sich wirtschaftliche Folgen ab. Laut des Internationalen Währungsfonds wird die Coronakrise die afrikanischen Länder südlich der Sahara noch härter treffen als zunächst erwartet. In diesem Jahr drohe die wirtschaftliche Leistung um 3,2 Prozent zu schrumpfen, nicht 1,6 Prozent, wie noch im April prognostiziert. Das Einkommen pro Kopf werde im Durchschnitt um sieben Prozent sinken. Existenzen sind bedroht.

Um die Wirtschaft zu stabilisieren, haben zahlreiche Länder begonnen, die Maßnahmen wieder zu lockern. Zu was das führen kann, zeigt sich derzeit in Indien.

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