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Covid-19: Überlastet die Pandemie das Internet?

Das deutsche Internet sei trotz der Pandemie und Millionen Menschen im Homeoffice nicht ausgelastet, sagen die Provider. Viele Kunden aber klagen über langsame Verbindungen. Wie passt das zusammen?
Stau auf der Datenschnellstraße?

Wer einen modernen HD-Fernseher hat, sollte in diesen Tagen nicht so sehr auf die Details achten. Mitte März hat Netflix angekündigt, für die nächsten 30 Tage in Europa seine Filme und Serien nur noch in SD, also in schlechterer Qualität auszuspielen. Weitere Dienste wie YouTube und die Kurzvideo-App TikTok verringern ihre Bandbreiten ebenfalls. HD-Streams laden bis zu drei Gigabyte Daten pro Stunde aus dem Internet herunter, bei Streams in Standardauflösung ist es nur ein Gigabyte.

Der Grund für die Drosselung ist die Coronavirus-Pandemie. Man will die Internetverbindungen entlasten, denn schon jetzt steigt in vielen Ländern der Datenverkehr, weil immer mehr Menschen von zuhause arbeiten, an Videokonferenzen teilnehmen oder in der Mittagspause eine Folge ihrer Lieblingsserie streamen. Am Internetknoten De-Cix in Frankfurt am Main konnte man schon vor zwei Wochen einen neuen Rekord-Datendurchsatz messen, und in Ländern wie Spanien oder Italien stieg das Datenaufkommen um teilweise bis zu 40 Prozent. Angesichts solcher Entwicklungen stellt sich die Frage, ob das Internet- und Telefonnetz der Mehrbelastung in den kommenden Wochen und Monaten gewachsen ist.

Wie tödlich ist das Coronavirus? Was ist über die Fälle in Deutschland bekannt? Wie kann ich mich vor Sars-CoV-2 schützen? Diese Fragen und mehr beantworten wir in unserer FAQ. Mehr zum Thema lesen Sie auf unserer Schwerpunktseite »Ein neues Coronavirus verbreitet sich weltweit«.

Die Internetprovider sagen, sie seien gut vorbereitet. »Unser Netz ist zum jetzigen Zeitpunkt stabil. Experten modellieren aktuell alle möglichen Lastszenarien für die nächsten Tage und Wochen«, schrieb Telekom Technik-Chef Walter Godenits in einem Blogbeitrag. Auch bei Vodafone und o2 baue man derzeit Kapazitäten aus, sagen die Firmensprecher. Gleichzeitig klagen einzelne Freunde und Kolleginnen, dass ihr Internet zuhause in diesen Tagen irgendwie langsamer als sonst sei oder sogar manchmal ausfallen würde. Die Daten der Website »Speedtest«, auf der man die eigene Internetgeschwindigkeit messen lassen kann, scheinen das zu bestätigen: Den Messungen zufolge sind die Internetanschlüsse in Europa und den USA in der vergangenen Woche insgesamt langsamer geworden.

»Diese Netze sind auf Spitzenlast, die sogenannte Busy Hour ausgelegt«
Thomas Plückebaum, Direktor und Abteilungsleiter, WIK

Wer hat nun Recht? Vielleicht ja beide Seiten: Einerseits kann das Internet in Deutschland stabil genug sein, um noch einmal deutlich mehr Traffic zu verkraften. Andererseits kann es manchen Kundinnen und Kunden schon jetzt vorkommen, als sei es bisweilen verstopft.

Es gibt nicht »das eine Internet«

»Die Leistungsfähigkeit des Internets bestimmt sich aus einer Produktionskette, angefangen beim Endgerät des Nutzers über die Anschlussleitung und deren Übertragungsprinzip«, sagt Thomas Plückebaum, Direktor und Abteilungsleiter für Netze und Kosten am Wissenschaftlichen Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK). Soll heißen: Es kommen viele verschiedene Aspekte zusammen, die über die Qualität des Internetanschlusses zuhause entscheiden, weshalb sich auch nicht über »das Internet« urteilen lässt.

Wenn die Provider von ihren mutmaßlich krisenfesten Netzen sprechen, dann meinen sie in der Regel das Rückgrat der Infrastruktur, den Backbone. Man kann es sich wie das Zentralnervensystem vorstellen: Es besteht aus Glasfaserkabeln, die bundesweit zwischen Gemeinden und Städten verlaufen und an bestimmten Knoten zusammenkommen. »Diese Netze sind auf Spitzenlast, die sogenannte Busy Hour ausgelegt«, sagt Plückebaum. Selbst wenn nun viele Menschen tagsüber Videokonferenzen machen, komme man vermutlich nicht an diese Spitzenlast in den Abendstunden ran. Das Datenaufkommen steigt zwar im Gesamtvolumen, es verteilt sich aber vor allem zeitlich über den Tag hinweg.

»Die bestehenden Glasfaserverbindungen nutzen derzeit nur einen Bruchteil der technisch verfügbaren Bandbreite aus.«
Hermann Rodler, M-net

Dieses Glasfasernetz hätte aber in jedem Fall noch genug Kapazitäten. Zur Einordnung: Ein durchschnittlicher privater DSL-Anschluss liefert 50 Megabit pro Sekunde. Der jetzt gemessene Rekord-Datendurchsatz am De-Cix waren 9,1 Terabit pro Sekunde, das entspricht umgerechnet mehr als 190.000 DSL-Anschlüssen, die gleichzeitig maximal ausgelastet sein müssten. Hermann Rodler, technischer Geschäftsführer des bayerischen Providers M-net sagt: »Die bestehenden Glasfaserverbindungen nutzen derzeit nur einen Bruchteil der technisch verfügbaren Bandbreite aus.« Deshalb bestehe keine Gefahr, dass das Netz verstopfen könnte.

Leider sind in Deutschland bislang nur etwa zehn Prozent aller Haushalte an dieses Zentralnervensystem aus Glasfaser direkt angeschlossen. Alle anderen sind über die letzte Meile verbunden. So heißt der Weg vom jeweiligen Verteiler oder der Vermittlungsstelle, dem Anschluss an das Glasfasernetz, in die Häuser und Wohnungen, wo die Signale letztlich im Router ankommen und dann meist per WLAN mit Endgeräten verbunden sind.

Flaschenhals letzte Meile

Diese letzte Meile ist eine Schwachstelle im Kommunikationsnetz. Erstens besteht sie fast immer aus Kupferkabeln. Je dünner und länger sie sind, desto weniger Daten können sie gleichzeitig transportieren. Je länger also der Weg vom Verteilerkasten in die Wohnung ist, desto langsamer ist die Internetgeschwindigkeit aufgrund der Leitungsdämpfung rein physikalisch. Deshalb gibt es manchmal sogar in der gleichen Straße Anschlüsse des gleichen Providers, die unterschiedlich schnell sind.

Zweitens sind Kupferkabel anfällig für elektromagnetische Störungen – etwa von anderen Kabeln, die im gleichen Rohr liegen. Gerade bei älteren DSL- und Telefonkabeln kann es zu einem Effekt namens Übersprechen kommen. Die Signale mehrerer Anschlüsse überlagern sich, die Übertragung wird gestört. Womit wir bei der Corona-Krise wären: Auch wenn DSL prinzipiell jedem Anschluss eine garantierte Geschwindigkeit bietet, weil jeder Anschluss über ein eigenes Kupferkabel mit dem Verteiler verbunden ist, kann es in Zeiten hoher Auslastung dazu kommen, dass sich die Anschlüsse gegenseitig ausbremsen. Zum Beispiel wenn alle Parteien eines Mietshauses gleichzeitig streamen. Das kann vor allem dort vorkommen, wo es noch kein VDSL oder Vectoring gibt. Diese neuere DSL-Technik ist nämlich weniger anfällig für Störungen und somit leistungsfähiger.

Noch spürbarer könnten die Einbußen im Kabelnetz sein, wo Fernsehen, Internet und Telefonie aus einem Anschluss kommen. Zwar bieten Kabelanbieter eine schnellere Verbindung als DSL, weil das Signal häufiger verstärkt wird, es also zu einer geringeren Leitungsdämpfung kommt. Allerdings handelt es sich hier um ein Shared Medium: Alle Kundinnen und Kunden in einem Gebiet teilen sich einen Kabelstrang, so wie sich Mobilfunknutzer jeweils eine Funkzelle teilen. Normalerweise ist das kein Problem, doch wenn viele Nutzer gleichzeitig intensiv das Internet nutzen, konkurrieren sie um die verfügbare Bandbreite – es kommt zu Einbußen. Das passierte bereits vor der Corona-Krise vor allem in den Abendstunden, wie die Bundesnetzagentur schon 2017 in ihrem Breitband-Jahresbericht schrieb.

»TV-Kabelnetze neigen im Anschluss eher zur Überlastreaktionen«, sagt Thomas Plückebaum, »man nimmt sich gegenseitig Kapazität weg«. Um das zu vermeiden, müssten die Anbieter die Anzahl der Kundinnen pro Kabelsegment verringern und gleichzeitig mehr Segmente schaffen. Aber das kostet natürlich und ist nicht über Nacht gemacht. Schon gar nicht, wenn wie jetzt die Auslastung an vielen Orten schlagartig steigt.

Drosselung des Datenverkehrs kann helfen

Die Coronavirus-Pandemie macht somit die seit langem bekannten Probleme der Internetinfrastruktur sicht- und spürbar. Die Betreiber mögen Recht damit haben, dass ihr Backbone-Glasfasernetz das erhöhte Aufkommen meistern kann. Doch auch das beste Glasfasernetz nützt den Menschen zuhause wenig, wenn sie nicht direkt daran angeschlossen sind und die Kapazitäten an den Verteilern nicht ausreichen, um allen angeschlossenen Kunden eine stabile Bandbreite anzubieten.

Die gedrosselte Streaming-Qualität bei Netflix und YouTube kann in diesen Tagen deshalb helfen, die Auslastung vor allem bei den Anbietern, in den Netzen und auf den Anschlussleitungen zu entlasten, glaubt Netzexperte Thomas Plückebaum. Denn Videostreaming, zusammen mit Gaming, verursacht mit den größten Datenverkehr. Gleichzeitig profitieren die Anbieter selbst, denn die Aktion entlastet ihre Server.

In der Frage, ob das Internet aus Sicht der Nutzer langsamer wird, spielen nämlich nicht nur die Internetprovider, sondern auch die Dienstanbieter eine entscheidende Rolle: Sie müssen mit derzeit steigender Nutzung zurechtkommen. Tun sie es nicht, gibt es Aussetzer und Ausfälle, die bei den Menschen vor dem Laptop so wirken könnten, als liege es an ihrer persönlichen Verbindung.

»Ich vermute, bei den Dienstanbietern bestehen derzeit die größten Engpässe«, sagt Thomas Plückebaum. Die Kapazitäten der Inhalteanbieter könnten zwar ausgebaut werden, doch jeder Anbieter müsse abwägen, ob sich das längerfristig wirtschaftlich lohnt. Vielleicht sinke ja das Interesse an Videokonferenzen in einigen Monaten wieder, wenn sich die Situation entspannt. Dann könnten die Anbieter auf ungenutzten Kapazitäten sitzenbleiben.

Was bleibt als Fazit? Das Internet in Deutschland mag auch in Ausnahmesituationen wie der Coronavirus-Pandemie grundsätzlich stabil bleiben. Dennoch werden einige Menschen eher als andere merken, dass ihr Internet zuhause stärker schwankt und wackelt. Verantwortlich ist das Zusammenspiel aus Provider und Anschlussart sowie zwischen den Diensten, die man nutzt und der Anzahl an Nutzern, die sowohl im eigenen Haushalt als auch im selben Haus gleichzeitig streamen, telefonieren oder videokonferieren.

Wer nicht kurzfristig zu einem Glasfaserprovider wechseln kann, kann derzeit nur darauf hoffen, dass die Provider die Kapazitäten schneller ausbauen. Oder der Datenverkehr im eigenen Haushalt lässt sich drosseln, indem Nutzer nur einzelne Dienste gleichzeitig verwenden. Vielleicht kommt nach Social Distancing ja das Digital Limiting – Netflix macht es vor.

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