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Interview: 'SpaceX zwingt uns zum Nachdenken'

Hansjörg Dittus gehört zum Vorstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Ein Gespräch über die Frage, wie es weitergeht in der mächtig aufgerüttelten Raumfahrtbranche.
SpaceX-Schwerlastrakete Falcon Heavy

Anfang Februar startete erstmals die Falcon Heavy, die schubstärkste Rakete der Gegenwart. Sie hat gezeigt: Die Raumfahrt entwickelt sich derzeit rasant weiter. "Spektrum.de" sprach mit Hansjörg Dittus aus dem Vorstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt über SpaceX' Billigraketen, die Rückkehr zum Mond und die großen Visionen der Raumfahrt.

Spektrum.de: Herr Dittus, der Start der neuen Schwerlastrakete Falcon Heavy der Firma SpaceX hat vergangene Woche weltweit Schlagzeilen gemacht. Dabei beeindruckt das amerikanische Raketen-Start-up Experten schon seit Jahren. Schließlich ist bereits die Vorgängerrakete, die Falcon 9, sehr erfolgreich. Wie kam es dazu?

Hansjörg Dittus: Eines der bestechenden Merkmale der Falcon 9 ist, dass neun praktisch identische Unterstufen-Triebwerke zum Einsatz kommen, die bei der Landung wieder zurückgeführt werden. Die Rakete kann damit den Ausfall einzelner Triebwerke kompensieren und verfügt über eine hohe System-Redundanz. Das ist ein völlig anderer Ansatz, als er zum Beispiel bei der europäischen Ariane 5 oder der zukünftigen Ariane 6 verfolgt wird.

Hansjörg Dittus | Der Raumfahrtexperte sitzt seit mehr als sechs Jahren im Vorstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und ist dort zuständig für Raumfahrtforschung und -technologie. Zuvor war er Leiter des Fallturms Bremen und Direktor des DLR-Instituts für Raumfahrtsysteme in Bremen. Seit 2006 ist Dittus zudem Professor im Fachbereich Produktionstechnik, Maschinenbau und Verfahrenstechnik der Universität Bremen.

Inwiefern?

Wir haben in der Unterstufe der Ariane-Raketen nur ein Triebwerk plus die Booster. Die wieder heil zum Boden zu bringen, das geht bei der Ariane 6 nicht, da sie für die Rückkehr, wie sie derzeit SpaceX durchführt, eine ungerade Anzahl von mehreren Triebwerken benötigen würde. Aber selbst wenn man die Unterstufe einer Ariane-Rakete zurückbringen könnte, wäre das eben nur ein einzelnes Triebwerk.

Der große Vorteil von SpaceX ist, dass jeder Transport auch ein Test für die Weiterentwicklung der Rakete ist. Die SpaceX-Ingenieure können einzelne Triebwerke zerlegen, nachdem sie diese wieder zurückbekommen haben. Und sie können sofort sehen, was schiefgelaufen ist oder wo etwas zukünftig schieflaufen könnte. Dadurch sind die Ingenieure in der Lage, das Triebwerk sehr schnell zu verbessern, nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Herstellung.

SpaceX setzt auf Merlin-Triebwerke. Handelt es sich dabei um ein Novum in der Raumfahrt?

Technisch ist das Triebwerk nicht neu, es verbrennt Kerosin mit flüssigem Sauerstoff, spielt also in der gleichen Klasse wie etwa das der russischen Sojus-Rakete. SpaceX verwendet damit einen relativ einfachen Triebwerkstyp. Trotzdem ist die Rakete überdimensioniert. Es werden während des nominalen Flugs sogar Triebwerke abgeschaltet oder gedrosselt. Doch die scheinbare Überkapazität wird genutzt, um das Ding zurückzubringen. Das ist das Novum.

"Ohne eigene Raketen in Europa würden wir unsere strategische Unabhängigkeit verlieren"
Hansjörg Dittus, DLR

Die Falcon Heavy bringt zweimal mehr Nutzlast in einen niedrigen Erdorbit als der schubstärkste derzeit auf dem Weltmarkt verfügbare Träger. Es gab um den Erststart der Rakete viel Wirbel, den auch Elon Musk, der SpaceX-Firmenchef, immer wieder angeheizt hat: Im Sommer 2017 sagte er etwa augenzwinkernd, er sei ganz froh, wenn die Falcon Heavy nicht schon auf der Startrampe explodieren würde. Hat die Konkurrenz Musk zu lange belächelt, statt sich von ihm inspirieren zu lassen?

Ich habe die Entwicklung von SpaceX verfolgt. Am Anfang haben alle gesagt, die Falcon-Raketen werden nie funktionieren. Als sie zum ersten Mal geflogen sind, hieß es: Zurück kommen sie nie. Dann sind die Raketenstufen zwar zurückgekommen, aber kurz nach der Landung umgefallen. Beim nächsten Mal sind sie stehen geblieben. Und jetzt kommt die Firma mit der Falcon Heavy daher, und es gab wieder viel Unkerei. Gegen die Falcon-Raketen ist also immer viel Zweckpessimismus verbreitet worden. Aber im Grunde hat das Konzept bei mir viel Sympathie, weil es sehr konsequent durchgezogen wird und auch zu disruptiven Ansätzen geführt hat, die uns in Europa zu einem massiven Nachdenken zwingen.

Start der Schwerlastrakete | Der Jungfernflug der "Falcon Heavy" am 6. Februar 2018 war mit großer Spannung erwartet worden. Selbst SpaceX-Chef Elon Musk soll die Chance auf einen erfolgreichen Erfolg bei nur etwa 50 Prozent gesehen haben. In der Spitze der Rakete flog als Nutzlast ein roter Tesla mit. Ein Werbegag, der dem Ereignis zusätzliche Aufmerksamkeit bescherte.

Die Wiederverwendbarkeit der Falcon-Raketen lässt sich sicher gut vermarkten. Aber trägt diese auch wirklich etwas dazu bei, den Startpreis zu senken?

SpaceX bietet Flüge sicher deutlich billiger als die Konkurrenz an. Durch die Wiederverwendbarkeit spart sich die Firma zum Beispiel eine komplette Fertigungslinie. Man muss aber ehrlich sein: Noch ist nicht klar, wie hoch die Kostenersparnis wirklich ausfällt. Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen: Der Preis ist nicht alles. Auch das innovative Konzept sorgt für Unterstützung. Wenn man die Bilder von Cape Canaveral letzte Woche gesehen hat, wo Zigtausende von Menschen den Start bejubelt haben, dann wird auch klar, dass nicht nur Effizienz und Kosten über den Erfolg entscheiden.

Wurden Raketenbauer weltweit kalt von den Dumpingraketen von SpaceX erwischt?

SpaceX hat natürlich ein neues Tor aufgestoßen. Die Firma hat eine völlig neue Art, Träger zu entwickeln. Aber man muss sehen, dass es nicht nur ein Marktproblem ist. Die meisten Raketen brauchen wir, weil es strategisch notwendig ist. Wir könnten natürlich sagen, wir bauen keine Raketen mehr in Europa, weil es vielleicht zu teuer ist. Aber dann würden wir auch unsere strategische Unabhängigkeit aufgeben.

Woran denken Sie konkret?

Stellen Sie sich vor, unsere Kommunikationssatelliten würden nur noch durch andere Anbieter gestartet werden. Dann wäre automatisch die gesamte Frage der Telekommunikation in den Händen anderer Nationen. Das können wir uns als europäische Gesellschaft nicht leisten. Deswegen müssen auch in Europa Träger gebaut werden, die unsere eigenen Satelliten oder die der heimischen Firmen in den Orbit bringen, allein wegen der Tatsache, dass wir einen unabhängigen Zugang zum All brauchen.

Das bedeutet natürlich nicht immer zwingend, dass Träger konkret nach strengen marktwirtschaftlichen Regeln im Sinne eines "Return on Investment" entwickelt werden können. Die Gesellschaft hat es als Gesamtes mitzutragen, muss dann also Entwicklungskosten übernehmen. Das ist hier in Europa so, aber auch in den USA. SpaceX kann ebenfalls nicht ohne Staatsaufträge auskommen. Das Unternehmen lebt ebenso von diesen wie auch Arianespace hier in Europa.

Ist es denn eine Option für Europa, die Kosten für Raketenstarts ähnlich massiv zu senken, wie SpaceX das getan hat? Für die Ariane 6 gibt es ja für das Stufenrecycling zumindest eine Konzeptstudie.

In dieser Richtung müssten wir deutlich mehr tun. Die Wiederverwendbarkeit ist keine Unmöglichkeit. Klar ist heute, dass wir Raketenstufen zurückbekommen könnten. Das hat man vor 20 Jahren noch komplett bestritten. Es wurde zwar immer wieder untersucht. Aber selbst vor zehn und noch vor fünf Jahren haben viele gesagt: Das schaffen die nie. Und? Es geht! Wir sehen, dass daraus plötzlich erhebliche Vorteile entstehen. Ich bin daher schon der Meinung, dass es ein europäischer Ansatz für die Zukunft sein sollte.

Die neue Falcon Heavy liegt ja deutlich über der Gewichtsklasse der neuen Ariane 5. Was ist mit Europas neuer Rakete Ariane 6?

Die Ariane 5 und 6 konkurrieren partiell mit der Falcon 9. Die Falcon Heavy ist auch für die Ariane 6 eine deutliche Gewichtsklasse zu hoch. Solch eine Schwerlastrakete brauchen Sie nur, wenn Sie entweder riesige Nutzlasten in den Erdorbit bringen wollen, wofür es momentan eigentlich keinen echten Bedarf gibt. Es sei denn, wir würden jetzt sagen, wir bauen wieder mal die ganz große Raumstation – wovon wir weit entfernt sind.

"Ich finde es toll, wenn wir sagen, die Menschheit bricht zu den nächsten Planeten auf. Ich bin dabei, aber dann müssen wir es auch tun und das Geld dafür bekommen"
Hansjörg Dittus, DLR

Oder wir wollen in den Deep Space, also zum Mond oder zum Mars. Dafür wäre eine Ariane 6 nicht geeignet. Vielleicht noch viel wesentlicher ist aber, dass alle amerikanischen Träger, die derzeit privat entwickelt werden, für bemannte Flüge konzipiert sind. Sie werden also allesamt so gebaut, dass man irgendwann auch Astronauten damit transportieren kann.

Apropos Mond: Für wie realistisch halten Sie denn den Bau einer Raumstation in dessen Nähe? Das Konzept dieses Deep Space Gateway wird ja mittlerweile von allen großen Raumfahrtstaaten unterstützt. So ein Plan wird doch sicher einfacher, wenn derart starke Raketen wie die Falcon Heavy verfügbar sind?

Es wird nicht einfacher, aber große Raketen sind die Voraussetzung. Sie müssen über gigantische Antriebe verfügen, um die relativ großen Nutzlasten dorthin zu bringen. Mit den Raketen, die bisher auf dem Markt verfügbar waren, sind vielleicht kleinere Mission zum Mond denkbar, aber nicht ein Mondprogramm mit regelmäßigen Flügen. In den 1960er Jahren haben es die Amerikaner nur dank ihrer großen Saturn V zum Erdtrabanten geschafft, und die war schon eine gewaltige und sehr, sehr teure Rakete. Ein Stück weit ist das auch meine Kritik an den aktuellen Plänen: Man kann nicht über solche Deep-Space-Programme nachdenken, ohne über Geld zu reden.

Synchronlandung | Die beiden Booster von SpaceXs Falcon-Heavy-Rakete landen nach dem Start am 6. Februar 2018 unbeschadet nahe der Startrampe in Cape Canaveral – für viele Beobachter ein Moment, der in die Raumfahrtgeschichte eingehen wird.

ESA-Generaldirektor Jan Wörner redet ja schon seit Jahren über ein "Moon Village", das gut zu den Plänen rund um das Deep Space Gateway passen würde. Aber wie sieht es mit der Finanzierung aus?

Das ist eben die große Kritik. Man kann zwar über Pläne reden, aber man muss gleichzeitig auch die wahren Kosten offenlegen. Zumindest hier in Europa werden wir bei solchen Projekten mit dem derzeitigen Mitteleinsatz ohnehin eher wenig sichtbar sein. Denn wir haben speziell für die bemannte Raumfahrt deutlich zu wenig Geld. In Amerika ist das vielleicht anders.

Diese Pläne sind teuer – wir erstellen ja selbst viele derartige Studien. Würden Sie heute eine Raumstation nicht mehr im Erdorbit, sondern am Mond betreiben, bräuchten Sie ungefähr fünfmal mehr Geld. Und Sie bräuchten 20-mal so viel, um bemannt auf den Mars zu kommen. Und dieses zusätzliche Geld müssen Sie erst einmal kriegen. Wenn Sie heute einem Finanzminister sagen, Sie brauchen mehr Geld, dann erwartet der vielleicht eine Steigerung von fünf bis zehn Prozent, aber sicher nicht von 500 Prozent! Und genau das ist das Problem.

Wieso kostet die Rückkehr zum Mond denn so viel Geld?

Die hohen Kosten entstehen, weil man große Flüge in regelmäßiger Abfolge durchführen müsste. Aber wenn wir davon ausgehen, dass ein Start der neuen, von der NASA entwickelten Schwerlastrakete SLS mindestens eine Milliarde Dollar kosten wird, wird man diese nur sehr selten starten können. Uns hat die NASA gesagt, sie könne diese Starts ungefähr alle zwei Jahre durchführen.

Wieso ist das ein Problem?

Wenn jetzt alle zwei Jahre drei Astronauten mit dem Orion-Raumschiff zu einer Deep-Space-Station oder gar einer Station auf dem Mond fliegen, dann können Sie sich ausrechnen, wie viele Flüge da in 15 oder 20 Jahren zusammenkommen. Das sind nicht viele. Und wenn Sie dann einen europäischen Anteil von acht Prozent haben, bedeutet das in 15 Jahren ein bis zwei europäische Astronauten. Das ist dann kein Programm mehr.

Aber müsste nicht wieder visionärer gedacht werden? Sicher, nicht jeder nimmt Donald Trump die Rolle des Visionärs hin zu einer neuen Mondlandung oder zu bemannten Marsmissionen ab. Aber dafür gibt es ja Leute wie SpaceX-Chef Elon Musk oder ESA-Direktor Jan Wörner.

Ich finde es toll, wenn wir sagen, die Menschheit bricht zu den nächsten Planeten auf. Ich bin dabei, aber dann müssen wir es auch tun und das Geld dafür bekommen. Ein Problem sind auch die Zeiträume. Wenn wir nur wenig Geld haben, dann dauert es sehr lange. Wenn wir viel Geld haben, dann bekommen wir das in vernünftigen Zeiträumen von vielleicht 25 bis 30 Jahren hin, mit Menschen zum Mars zu fliegen. Aber es hat doch keinen Sinn, über Programme nachzudenken, die mehr als 100 Jahre dauern.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Unsere Studien sagen: Wenn man so etwas umsetzen will, dann muss auch viel Begleitforschung erfolgen. Wir wissen zum Beispiel noch nicht genau, was es bedeutet, Menschen auf so lange Flugreisen zu schicken, auf denen sie dann zwei oder sogar drei Jahre ganz auf sich gestellt sind. Die gesundheitlichen und psychologischen Folgen, die auf diese Menschen warten, sind kaum erforscht. Das heißt, man muss schon zu Forschungszwecken Langzeitflüge machen, aber das können wir derzeit nur im niedrigen Erdorbit.

Für uns wäre die Frage wichtiger, wie wir eine neue Raumstation ähnlich der ISS eventuell günstiger gestalten könnten, mit neuen Elementen, um Flüge tiefer ins All vorzubereiten. Eine solche Station kann kleiner oder modularer gestaltet werden, aber mit kontinuierlich im All lebenden Menschen. Das Geld, was man durch eine günstigere Struktur im Erdorbit einspart, könnte man dann schrittweise verwenden, um Reisen tiefer ins All vorzubereiten. Aber wenn wir jetzt die ISS einfach demontieren und dann sagen, irgendwann fliegen wir zum Mond: Das wird schiefgehen.

Es ist ja nicht so, dass wir in 20 oder 25 Jahren auf dem Mars wären, selbst wenn wir jetzt jedes Jahr 20 Milliarden Euro investieren würden. Alles muss sukzessive aufgebaut werden, und dann muss man erst einmal den Status halten, den man erreicht hat. Und das ist derzeit der niedrige Erdorbit. Deswegen verstehe ich es auch nicht, dass über den Erdorbit gar nicht mehr diskutiert wird. Klar ist es nicht der ganz große Wurf. Aber es nutzt auch nichts, uns jetzt Versprechungen für die Zukunft zu machen, die wir in absehbarer Zeit gar nicht erfüllen können.

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