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Genetische Anlagen: Sieben neue Gründe für die Höhentoleranz der Tibeter

Menschen in unterschiedlichen Höhenzügen der Erde haben sich auf unterschiedliche Weise an die dünne Luft ihrer Heimat angepasst. Dabei waren die Tibeter bisher die am gründlichsten untersuchten Höhenspezialisten - genau genug kann man aber nie hinsehen, zeigt nun die nächste Studie.
Mount Kailash - der Unbestiegene

Tibeter sind die Lieblingsversuchskaninchen von Forschern, die sich für die Anpassung von Menschen an ein Leben in großen Höhen interessieren. In zahlreichen Studien haben sie dabei schon einiges über die typischen Genvarianten und Stoffwechselanpassungen enthüllt, die die Bewohner des durchschnittlich über 4000 Meter liegenden Tibetplateaus auszeichnet: So transportieren die besonders geweitete Gefäße der Tibeter mehr Sauerstoff mit weniger Sauerstofftransportproteinen ohne Verklumpungsgefahr, und wenige Erbgutabschnitte sind auf eine ganz bestimmte Weise verändert. Damit aber nicht genug, meinen nun Forscher nach einer weit umfangreicheren Genanalyse: Neben den zwei bekanntesten haben sich noch mindestens sieben andere besondere Varianten rasant verändert, seit sich Tibeter und die in tieferen Lagen lebenden Han-Chinesen und ihre Nachbarn auseinanderentwickelten.

Die neuen Untersuchungen seien die ersten, die wirklich genug Gendaten zur Verfügung hatten, um auch etwas weniger auffällige Veränderungen der Höhenanpassung erkennen zu können, so die Forscher des internationalen Teams um Jia Qu von der chinesischen Wenzhou Medical University. Ihre Analyse der einzelnen Genveränderungen von gut 3000 Tibetern und über 7000 anderen ostasiatischen Menschen bestätigte dabei zunächst, was schon zuvor bekannt war: In der Höhe von Tibet sind bestimmte Varianten der Gene EPSA1 und EGLN1 verändert, die beide mit der Antwort des Körpers auf Sauerstoffmangel und dem Hämoglobin des Bluts zu tun haben. Zudem fanden sich aber sieben andere Erbgutveränderungen auffallend häufig.

Einige der neuen Kandidaten, nicht aber alle haben dabei wohl etwas mit dem niedrigen Sauerstoffgehalt zu tun: So beeinflusst etwa eine Veränderung im Gen MTHF3 offenbar die Folsäure- und Homocysteinspiegel, die bei Tibetern bekanntermaßen messbar verändert sind. Das, spekulieren Qu und Co, könnte mit der rund 30 Prozent höheren UV-Einstrahlung auf dem Tibetplateau zusammenhängen: Die wichtige Folsäure vor allem in heller Haut zerfällt schneller, wenn sie stärkerer ultravioletter Strahlung ausgesetzt ist. Sie sollte daher von in der Höhe lebenden Menschen schneller nachgeliefert werden. Auf einige weitere Veränderungen können sich die Forscher noch keinen Reim machen: Diese hängen vielleicht mit der schlechteren Ernährungslage über die in der Höhe ausharrenden Generationen hinweg zusammen oder haben ganz andere Ursachen; jedenfalls sind sie bei Tibetern eindeutig häufig und bei Han-Chinesen kaum vorhanden.

Der Vergleich der vielen Genproben lasse im Übrigen nun auch etwas verlässlichere Schlussfolgerungen über die Verwandtschaft zwischen Chinesen und Tibetern zu – und über den bisher umstrittenen Zeitpunkt, ab dem die beiden asiatischen Menschengruppen sich auseinanderentwickelten: Dies begann nach den neuen Auswertung rechnerisch wohl vor 189 Generationen, also vor über 4725 Jahren. Das Resultat passt deutlich besser zu archäologischen Daten als zu früheren Extrapolationen aus Genanalysen: Die ältesten Artefakte von Landwirtschaft und Spuren dörflicher Besiedlung auf dem Tibetplateau sind 5200 Jahre alt. Heute zeigen die Gendaten recht eindeutig, dass sich die Population in Tibet in der Höhe dann recht eigenständig entwickelte und eine Vermischung nur selten erfolgte – und wenn, dann mit östlichen Nachbarn der Tibeter aus den Volksstämmen der Yi und Tu.

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