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Medizin: Viren statt Antibiotika

Phagen sind Viren, die Bakterien befallen – und das sehr spezifisch. Gegen einen genau passenden Krankheitskeim haben sie eine ­durch­schlagende Wirkung. Vorausgesetzt, die behördlichen ­Vorschriften lassen sich regeln, könnten sie bei sonst ­unbehandelbaren Entzündungen zum Mittel der Wahl werden.
Wenn Phagen – Bakterienviren – ihre spezifischen Bakterien finden, können sie diese unter den richtigen Umständen rasch völlig vernichten.

Anfang 2010 bat mich eine Züricher Kollegin um Rat. Wegen einer Kieferentzündung infolge einer missglückten Zahnbehandlung hatte sie wiederholt Antibiotika einnehmen müssen und litt seitdem unter lebensbedrohlichen Durchfällen. Die Maßnahme hatte ihre Darmflora extrem in Mitleidenschaft gezogen und nützliche Keime vernichtet, denn natürlich greifen solche Medikamente auch diese an. An deren Stelle hatte sich das vertrackte Bakterium Clostridium difficile durchgesetzt und ließ sich seinerseits nur immer wieder mit Antibiotika zurückdrängen. Ob ich mich wohl auf Kongressen nach neuen Erkenntnissen oder möglichen Therapieansätzen umhören könnte?

Die Teilnehmer einer Veranstaltung in Paris am Institut Pasteur, das seit mehr als 100 Jahren auf Infektionskrankheiten spezialisiert ist, wussten damals, 2010, keinen Rat. Es gäbe bisher keinen "Killer" gegen C. difficile. Aber bald darauf, bei einem Virologentreffen in Korea, erzählte mir ein Journalist der "New York Times" von einem uralten Verfahren und schickte mir die betreffende Publikation: Man verabreicht dem Kranken per Einlauf ein wenig Stuhlextrakt von einem Gesunden. Die Züricher Mediziner hielten hiervon gar nichts. Doch die Frau ließ sich mit Stuhl ihrer Schwester behandeln – und fühlte sich schon ein paar Tage später wie neugeboren!

Die Prozedur war relativ einfach. Der Darm der Emp­fängerin wurde vorher mit Antibiotika gegen die krank machenden Keime behandelt, die fremde Stuhlprobe zunächst mit Wasser aufgeschwemmt und für das Klistier dann nur die am Ende überstehende klare Flüssigkeit verwendet. Anschließend haben meine Züricher Mitarbeiter und ich die Darmflora der Patientin über viereinhalb Jahre hinweg regelmäßig untersucht und mit derjenigen der Spenderin verglichen – eine Mammutaufgabe, welche die Großrechner der ETH Zürich stets tagelang beanspruchte. Zwar ähnelte die Zusammensetzung der Bakte­rien erst nach sieben Monaten der ihrer Schwester, doch empfand sich die Kollegin schon nach einer knappen Woche als geheilt. Die übertragenen Mikroben hatten sich sehr rasch auf ein gesundes Maß vermehrt – das beträgt bei Erwachsenen etwa zwei Kilogramm. Sie hatten den gefährlichen Keim einfach verdrängt 

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  • Quellen

Quellen

Fish, R. et al.: Bacteriophage Treatment of Intransigent Diabetic Toe Ulcers: A Case Series. In: Journal of Wound Care 25, S. 27-33, 2016

D’Hérelle, F.: Sur un microbe invisible antagoniste des bacilles dysentériques. Comptes rendus hebdomadaires des séances de l‘Académie des Sciences 165, S. 373–375, 1917; On an Invisible Microbe Antagonistic Towar Dysenteric Bacillii. In: Research in Microbiology 58, S. 553-554, 2007

Moelling, K., Broecker, F.: Fecal Microbiota Transplantation to Fight Clostridium difficile Infections and other Intestinal Diseases. In: Bacteriophage 6, e1251380, 2016

Sarker, S. A. et al.: Oral Application of Escherichia coli Bacterio­phage: Safety Tests in Healthy and Diarheal Children from Bangladesh. In: Environmental Microbiology 19, S. 237-250, 2017

Literaturtipps

Mölling, K.: Supermacht des Lebens. Reisen in die erstaunliche Welt der Viren. C.H.Beck, München 2015

Lebendig, spannend und gut verständlich erzählte Forschung

Moelling, K.: Viruses. More Friends than Foes. World Scientific Publishing, Singapur 2017

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