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Antike Philosophie: Platon komponierte wie ein Musiker

Platons Kopf
Platon – Legionen von Kommentatoren haben ihn seit der Antike gelesen und tausendfach ausgelegt. Trotzdem gelingt es bis heute hin und wieder einem Forscher, Neues zu entdecken. So wie dem Philosophen Jay Kennedy: Er will in Platons Dialogen eine Struktur erkannt haben, die auf der antiken griechischen Musiktheorie gründet. Schon Platons Zeitgenossen hatten auf "Symbole" hingewiesen, doch in der heutigen Forschung wurde deren Bemerkungen kaum Beachtung geschenkt.

Der Forscher der University of Manchester ging von der Hypothese aus, dass für Platon die Anzahl der Zeilen von Bedeutung war. Als erster wertete Kennedy sie per Computer aus und fand mehrere sich wiederholende Muster: Bei acht Dialogen entspricht die Gesamtzahl der Zeilen immer Vielfachen von zwölf. Die Anzahl der Zeilen von klar abgetrennten wörtlichen Reden sind oft Vielfache des zwölften Teils des jeweiligen Gesamtdialogs. Negative Konzepte wie die Tyrannis, der Tod und die Unterwelt kommen in vielen Texten oft ab dem zehnten Zwölftel der Gesamtlänge vor, Positives bleibt dem Abschnitt ab dem achten Zwölftel vorbehalten.

Auf diese strukturierende Zwölf gründet Kennedy die folgende Argumentation: Genauso viele Stufen hatte die griechische Tonleiter und innerhalb dieser galten Intervalle zwischen Grundton und einigen anderen Tönen als harmonisch, andere als unharmonisch. Der zehnte Ton in Kombination mit dem ersten beispielsweise wurde als unästhetisch empfunden, der achte hingegen als angenehm. Diese Harmonielehre lässt sich laut Kennedy auch auf die Dialogabschnitte übertragen, denn dort, wo die unharmonischen Intervalle liegen, stellt Platon die erwähnten negativen Konzepte vor. An den Stellen, wo harmonische Intervalle liegen, schreibt Platon über Erfreulicheres.

Durch Kennedys Analyse könnte nun ein großer Kritikpunkt an Platon wegfallen, nämlich der, dass die Gespräche – vorher scheinbar ohne Sinn – von einem Thema zum anderen mäandrieren. Auch das Urteil, Platons Dialoge endeten unabänderlich darin, dass sich die Streitenden ihre Unwissenheit eingestehen, könnte durch die neu entdeckte Struktur in Frage gestellt werden, denn: "Platons positives philosophisches Programm befindet sich in den unter dem Text befindlichen Formen", resümiert Kennedy.

Claudia Reinert

Apeiron: a journal of ancient science and philosophy 43, S. 1-31, 2010.

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