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Auf den Spuren Abrahams

Nachdem Francis den Tell Sabi Abyad bereits am Vormittag verlassen hatte, blieb mir noch etwas Zeit, im Grabungshaus der Niederländer die Funde anzuschauen. So hatte ich Gelegenheit, sehr frühe neolithische Keramik in die Hand zu nehmen. Denn erst als Ackerbau und Viehzucht bereits lange etabliert waren, tauchte die Töpferei als eine der letzten neolithischen Errungenschaften auf. Diesem "Pottery Neolithic" oder kurz PN widmet sich neben Peter Akkermans und seinem Team auch die Grabung des DAI Damaskus in Tell Sir unter Karin Bartl, die wir bereits einige Wochen zuvor besucht hatten.

Nach dem Mittagessen verabschiedete ich mich überschwänglich von allen, um allerdings nach wenigen Stunden wieder vor dem Tor des Grabungshauses zu stehen: samstags schließt die Grenze zwischen Syrien und der Türkei nämlich etwas früher …

Aber wie jede Panne hatte auch diese ihre guten Seiten. Die Wartezeit beim Umsteigen von einem hophop in das nächste in einem kleinen Dorf namens Slough habe ich mit einem Gespräch mit dem Tierarzt über seine Patienten verbracht. Seine Hauptklientel sind die ca. 30.000 Schafe der Gegend und ihre Hufkrankheiten und Beinbrüche. Und nicht zuletzt konnte ich dadurch noch einmal eine Nacht ganz prähistorisch auf einer Lehmbank im Hof des Grabungshauses unter freiem Himmel verbringen. Sie war von der Sonnenhitze des Tages tatsächlich bis zum nächsten Morgen angenehm warm. Danke für die erneute Gastfreundschaft!

Am nächsten Tag erreichte ich dann problemlos meine erste Station in der Türkei: Urfa, die Heimat Abrahams. Neben der biblischen Tradition, nach der Abraham aus Ur in Chaldaea stammt, knüpfen sich viele erzväterliche Überlieferungen an die Gegend um Urfa. Ich habe die Höhle aufgesucht, in der der Legende nach Abraham geboren wurde und den Felsen, von dem König Nemrut ihn in ein Feuer stürzen wollte. Gott verwandelte aber das Feuer in einen Teich und die Holzscheite in Fische.

Natürlich habe auch ich für ein paar Kurusch Futter gekauft und die glücklichen heiligen Karpfen gefüttert! Nicht weit davon entfernt wird der Ort verehrt, an dem Hiob seine Leidenszeit und Heilung erlebte, in Harran etwas weiter südlich soll Jakob um Rahel geworben haben, und auch eine Legende um das Schweißtuch Christi ist in Urfa, das in byzantinischer Zeit Edessa hieß, beheimatet.

Dass an einem solchen Kristallisationspunkt des Glaubens der Fund einer Kultstätte aus der Zeit des Übergangs zwischen der jägerisch-sammelnden und der neolithischen Lebensweise die Gemüter bewegt, ist verständlich. Zwar ist der Göbekli Tepe in Urfa schon überall ausgeschildert, aber die Dörfer in seiner Umgebung sind nur mit dem Taxi zu erreichen.

Schon hatte ich vor, den Besuch des Ortes noch etwas zu verschieben, bis wir mit dem Auto ausgerüstet sind, aber dann ergab sich im Hotel eine Mitfahrgelegenheit, die ich natürlich gerne annahm! Die Reliefs der Stelen sind derzeit abgedeckt, da die Grabungen ja noch nicht abgeschlossen sind, aber ich habe schon so viele Publikationen dazu gesehen, da konnte ich mir die leicht dazu denken.

Vom Hügel aus bot sich mir bei einem Tee, den der Wächter uns gekocht hatte, ein wunderbarer Blick über sanfte grasige Hügel: hier am Scheitelpunkt des Fruchtbaren Halbmonds liegt nach dem derzeitigen Forschungsstand die genetische Heimat unserer Kulturgetreide.

Als Landschaft lebendiger Traditionen der monotheistischen Religionen und zudem vielleicht als Wiege unserer ackerbaulich-viehzüchterischen Kultur hat die Landschaft um Urfa eine große Chance, die gleichzeitig eine große Verantwortung um unser kulturelles Erbe darstellt. Noch verschwimmen hier zwar allzu schnell die Grenzen zwischen Glaube, Wissenschaft und gar Politik, wenn in einem Atemzug von den Erzvätern, dem Göbekli Tepe und den heute in der Gegend gesprochenen Sprachen geredet wird; aber wahrscheinlich ist Urfa ja gerade wegen dieses Spannungsfelds so magisch und faszinierend.

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